Portrait

Jenny Beavan: Eine Kostümbildnerin mit Liebe zum Detail

Jenny Beavan erstellte für den Film „Mrs. Harris und ein Kleid von Dior“ die Kostüme nach den legendären Entwürfen des Modeschöpfers Christian Dior. Die 72-jährige Kostümbildnerin, die Anfang des Jahres ihren dritten Oscar für Disneys „Cruella“ gewann, macht ihren Job noch immer voller Leidenschaft.

Jenny Beavan Anfang September in London auf der Weltpremiere des Films „Mrs. Harris und ein Kleid von Dior“. (Foto: Universal Pictures)

Auf der Weltpremiere des Universal-Films „Mrs. Harris und ein Kleid von Dior“ trägt Jenny Beavan einen legeren Look elegant in Schwarz-Weiß. Ihre üppigen grauen Locken wehen leicht im Wind und auf dem Kopf sitzt eine Lesebrille. Mit britischem Charme beantwortet Beavan auf dem roten Teppich die Fragen der Journalistin Ezelle Alblas im YouTube-Video von The Upcoming. Auf die Eingangsfrage der Journalistin, wie sie zu dem Filmprojekt gekommen ist, erzählt die erfolgreiche Kostümbildnerin, dass der Regisseur Anthony Fabian bei ihrem Agenten nachfragte, ob sie an dem Film mitarbeiten könnte. Als sie hörte, dass eine Freundin für das Film-Make-up zuständig ist, dachte sie sich, dass es bestimmt lustig werden würde. Als sie dann auch noch erfuhr, dass Lesley Manvielle die Hauptrolle der Mrs. Harris spielt, sagte sie zu, „denn es ist großartig, mit ihr zu

arbeiten, sie ist eine phänomenale Schauspielerin“ (Beavan entwarf 2007 für die Miniserie „Cranford“ bereits die Kostüme für Manville). Kurz darauf steht Lesley Manvielle neben ihr, woraufhin Beavan sich kurz bei der Journalistin entschuldigt und die beiden Damen sich freundschaftlich begrüßen. Als sich Jenny Beavan wieder der Journalistin zuwendet, wird sie auch gleich gefragt, ob es neben der Aschenputtel-Essenz im Film noch weitere Botschaften gibt. „Ich denke ja“, meint Beavan. „Ich denke sie wissen, dass man hart arbeiten muss, wenn man etwas erreichen will, dass man seinen Traum leben kann.“ Allerdings muss sie gleich darauf lächelnd zugeben, ist der Film „sehr fantasievoll“ und die Realität sieht oft anders aus.

Mrs. Harris (Lesley Manville, links) bestaunt auf der Dior-Modenschau das dunkelrote Haute-Couture-Kleid „Versuchung“. (Foto: Universal Pictures)

Christian-Dior-Kleider wieder zum Leben erweckt

Jenny Beavan erhielt im März 2022 ihren dritten Oscar für ihr Kostümdesign im Disney Film „Cruella“ (2021). Direkt nach den Dreharbeiten zu dem sehr kostümbetonten Disney-Film, arbeitete Beavan an dem Universal-Film „Mrs. Harris und ein Kleid von Dior“ (2022). Für diesen Film gelang es ihr Haute-Couture-Kleider nach den Entwürfen des legendären Designers Christian Dior detailgetreu zu kreieren.

Die nostalgische Tragikomödie „Mrs. Harris und ein Kleid von Dior“ wurde unter der Regie von Anthony Fabian (Skin, Louder Than Words) gedreht. Darin führt die verwitwete Hauptfigur Ada Harris (gespielt von Lesley Manville) als Putzfrau in den 1950er-Jahren ein bescheidenes Leben in London. Während ihrer Arbeit verliebt sie sich in ein prächtiges Haute-Couture-Kleid von Dior. Nach diesem magischen Moment fasst sie den Plan, so lange zu sparen, bis sie sich auch ein Kleid von Dior samt Flug nach Paris leisten kann. Vor Ort und nach einer mondänen Modenschau muss sie jedoch feststellen, dass man nicht so einfach ein Haute-Couture-Kleid kaufen und mitnehmen kann.

Für Jenny Beavan war die größte Herausforderung an dem Film, dass sie und ihr Team die prächtigen Haute-Couture-Kleider mitten im Corona-Lockdown herstellen mussten. Um die Kleider aus den 1950er-Jahren so detailgetreu wie möglich zu erstellen, wurde sie eingeladen, sich in Paris das Dior-Archiv anzusehen. Wie sie im Interview mit VarietyRadioOnline erzählte, hatte sie dort Einblick in Christian Diors Modeskizzen und konnte sich kostbare Kleidungsstücke genau ansehen. Für die Kostümbildnerin, die seit über 40 Jahren ihren Job ausübt, war es „einfach eine außergewöhnliche Erfahrung“.

Jenny Beavan ließ für den Film „Mrs. Harris und ein Kleid von Dior“ den „New Look“ von Christian Dior wieder aufleben. Der ultrafeminine Look besteht aus einer körperbetonten Taille und einem langen, glockenförmigen Rock. Natürlich nur aus edelsten Materialien. (Foto: Universal Pictures)

Bühnenbild-Studium an der Central School of Art and Design

Jenny Beavan erblickte am 15. November 1950 das Licht der Welt. Ihre Kindheit verbrachte sie mit ihrer Familie im Londoner Stadtteil Kensington. Wie sie im Mirror erzählte, waren ihre Eltern als Musiker tätig, der Vater war Cellist, die Mutter spielte Bratsche, „also gab es nie Geld, aber unser Haushalt war künstlerisch“. Da es in den 1950er-Jahren noch keine Fernseher gab, wurde viel „gezeichnet, gemalt und Sachen aus Pappkarton gebastelt“. Von ihren Eltern bekam sie nicht nur eine hohe Arbeitsmoral vermittelt, sondern sie ermutigten sie und ihre jüngere Schwester auch kreativ zu sein. Beide durften zu Hause Unordnung machen und sogar an einer der Wände malen.

Ihre Leidenschaft fürs Theater wurde durch ihren Shakespeare liebenden Großvater geweckt, wodurch sie beschloss, Bühnenbild an der Central School of Art and Design in London zu studieren. Dort lernte sie Muster zu zeichnen und Stoffe zu schneiden, Fähigkeiten, die ihr später noch sehr nützlich sein sollten. Nach ihrem Abschluss arbeitete sie in den 1970er-Jahren als Bühnenbildnerin für Theaterproduktionen.

Eine Reise nach Indien war der Beginn ihrer Karriere

Mit Mitte zwanzig beschaffte ihr ein Freund aus Kindheitstagen einen unbezahlten Job bei der Filmproduktionsfirma Merchant Ivory. Sie sollte für die 70-jährige Hauptdarstellerin Peggy Ashcroft Film-Kleider zusammenstellen, welche die Schauspielerin in Indien während den Dreharbeiten zu dem Film “Der große Trubel um Georgies und Bonnies Bilder“ (1978) tragen sollte.

Nach einem Treffen, bei dem sich die beiden gut verstanden zog Peggy Ashcroft, die bis dahin noch nie in Indien gewesen war Beavan ins Vertrauen: „Sie haben mir ein Erste-Klasse-Ticket nach Indien gegeben. Wenn ich es jetzt in zwei Economy-Flüge umtausche, kommen sie dann mit?“ Beavan, die Peggy Ashcroft als etwas nervös, aber lustig im Mirror beschrieb, sagte zu: „Wir teilten uns ein Zimmer und ich kümmerte mich in jeder erdenklichen Weise um sie. Nachts saßen wir in unseren Betten, tranken Brandy oder Whisky und besprachen unseren Tag.“ An dem Filmset im indischen Rajasthan machte sich Beavan als Helfer für Requisiten und Kostüme nützlich. Schon bald ging Regisseur James Ivory davon aus, dass sie die Kostümbildnerin sei. Er verpflichtete sie daraufhin für weitere drei Filme, was für Beavan ein unglaublicher Karrierebooster werden sollte.

Während James Ivorys Film “Die Damen aus Boston“ (1984) arbeitete Beavan zum ersten Mal zusammen mit dem Kostümbildner John Bright (gründete 1965 das erfolgreiche Londoner Kostümhaus Cosprop). Er erzählte ihr viel über „die Geschichte und die Politik der Kleidung“, wodurch Beavan wie sie im Interview mit Seattletimes sagte, von ihm zu Beginn ihrer Karriere viel lernen konnte. Diese erste Teamarbeit verlief so erfolgreich, dass beide zusammen 1985 ihre erste BAFTA- und Oscar-Nominierung erhielten.

Jenny Beavan und der Regisseur Anthony Fabian am Set von „Mrs. Harris und ein Kleid von Dior“. Die Dreharbeiten fanden 2020 und 2021 während des Corona-Lockdowns statt. (Foto: Universal Pictures)

Drei Oscars und ein Orden der Queen

Zwei Jahre später, im Jahr 1987 gewann Beavan zusammen mit John Bright ihren ersten Oscar für das Kostümdesign der Belle-Époque-Kostüme in dem James Ivory Film “Zimmer mit Aussicht“. Es folgten in Teamarbeit drei weitere Oscar-Nominierungen für ihre Arbeit an Ivory-Filmen, darunter eine Oscar-Nominierung für ihre viktorianischen Kostüme im Film “Wiedersehen in Howards End“ (1992). Das Historiendrama “Jefferson in Paris“ (1995) war schließlich Jenny Beavans letzte Zusammenarbeit mit dem Regisseur James Ivory, der ihre Karriere unterstützt hatte.

Ein Jahr später erhielt sie auch die letzte gemeinsame Oscar-Nominierung mit John Bright für ihre Kostüme im Empire-Stil, in der Jane Austen Literaturverfilmung “Sinn und Sinnlichkeit“ (1995) unter der Regie von Ang Lee.

Nach drei weiteren Oscar-Nominierungen bezüglich ihrer beeindruckenden Arbeiten an „Anna und der König“ (1999), „Gosford Park“ (2001) und “The King’s Speech“ (2010), konnte Beavan im Jahr 2016 ihren zweiten Oscar entgegen nehmen für ihre Arbeit an dem Film „Mad Max: Fury Road“ (2015) von George Miller. Aufgrund dieses Filmes entwarf sie zum ersten Mal keine Dramen-Kostüme, sondern Kostüme im postapokalyptischen Stil.

Eine besondere Ehre wurde Beavan im Jahr 2017 zuteil, als die Queen sie hinsichtlich ihrer Leistungen zum „Officer of the Order of the British Empire“ (OBE) ernannte.

Ihr Kostümdesign im Craig Gillespie-Film „Cruella“ (2021) war so faszinierend, dass sie dafür 2022 ihren dritten Oscar überreicht bekam. In dieser Disney-Realverfilmung wird die Hintergrundgeschichte der Modedesignerin Cruella de Vil aus dem Zeichentrickfilm „101 Dalmatiner“ erzählt. Für die Kostümentwürfe inspirierte sich Beavan insbesondere am prächtigen Design von Christian Dior und dem pompösen Stil von John Galliano.

Jenny Beavan, die an knapp 70 Kino- und TV-Filmen sowie Serien mitgearbeitet hat, erhielt neben ihren drei Oscars unter anderem noch vier BAFTA Awards und zwei Emmys. Zeitweilig arbeitete sie auch mit an Theaterproduktionen und Musicals. Im Jahr 2002 erhielt sie eine Tony Award Nominierung sowie einen Laurence Olivier Award für das Theaterstück „Private Lives“.

Emma Stone in Disneys „Cruella“, für dessen Kostümdesign Jenny Beavan ihren dritten Oscar erhielt. Der Film kann auf Disney+ gestreamt werden und ist auf DVD und Blu-ray erhältlich. (Foto: Disney)

Das Geheimnis ihres Erfolgs

Emma Stone, die im Disneyfilm „Cruella“ (2021) die junge Modedesignerin Cruella de Vil spielt, meinte über ihre Kostüme, dass diese einen Großteil der Arbeit für sie erledigten. Wie Jenny Beavan im Interview mit Slashfilm sagte, ist das genau das Ziel einer Kostümbildnerin, „den Schauspieler bei dem zu unterstützen, was er zu tun versucht“ und gleichzeitig damit eine Geschichte zu erzählen. Im Falle von „Cruella“ tat Beavan das so erfolgreich, das sie für ihre Arbeit am Film den einzigen Oscar erhielt.

Ihren jahrzehntelangen Erfolg im Kostümdesign führt Beavan auf ihre detaillierte Recherche, ihre Kreativität und auf ihr „phänomenales Team“, mit dem sie zusammenarbeitet, zurück. „Ohne dieses Team kann man nur sehr wenig erreichen“, meinte sie gegenüber A.frame. „Sie bringen meine Ideen einen Schritt weiter.“ Zu diesem Team, welches hilft, zu nähen, zu färben und zu organisieren, gehören mitunter die Kostümbildnerin Sally Turner sowie die Kostümmacherin Jane Law, mit denen sie zusammen an “Cruella“ gearbeitet hat und seit ihrem Karrierestart der nun 82-jährige John Bright. Er unterstützte sie während der Corona-Pandemie am Film „Mrs. Harris und ein Kleid von Dior“, indem er geeignete Kleider in seinem Kostümhaus Cosprob heraussuchte und zusammen mit Jane Law die Dior-Kostüme schneiderte.

Zum Oscar mit der ganzen Familie

Jenny Beavan verdankt ihren Karrierestart der Eigenschaft, dass sie sich gerne „um Menschen kümmert“. Außerdem lädt sie gerne zum Essen ein, auch wenn sie keine „besonders gute Köchin“ sei. Von daher ist ihr Haus im Londoner Stadtteil Peckham immer gut besucht mit Familie, Freunden, Untermietern sowie ihrer Katze Button, wie sie dem Mirror erzählte.

Interessanterweise postete Beavan hierzu im Juni Bilder auf Instagram, mit denen sie dem Regisseur James Ivory zu seinem 94. Geburtstag gratulierte. Auf den Schnappschüssen sieht man Ivory umringt von vielen Freunden im Haus von Jenny Beavan, die für ihn vor vier Jahren eine Überraschungsparty organisiert hatte, um seinen Neunzigsten, seinen Oscar und seinen BAFTA zu feiern. (James Ivory erhielt 2018 seinen ersten Oscar für sein Drehbuch zum Film „Call Me by Your Name“ und gehört damit zu der ältesten Person, die jemals den Oscar im Wettbewerb gewann).

In dem denkmalgeschützten Haus in Peckham lebt sie zusammen mit ihrer Tochter Caitlin Albery Beavan, die 1980 geboren wurde und wie ihr Vater, Beavans Ex-Ehemann Ian Albery, in der Film- und Theaterproduktion tätig ist. Außerdem mit ihrem Schwiegersohn sowie dem in England bekannten Comedian Joe Lycett. Lycett ist ein Studienfreund von Beavans Tochter Caitlin und sagte über Jenny Beavan in Irishnews: „Wenn ich in London bin, wohne ich bei ihr; sie ist meine ‚andere Mutter’“.

Mit ihrer Familie (Joe Lycett eingeschlossen), ist Beavan auch auf den Oscar-Verleihungen anzutreffen. So begann sie ihre letzte Oscar-Dankesrede scherzhaft mit dem Satz: „Wenn Sie ein wirklich peinliches Geräusch hören, ist es wahrscheinlich meine Familie irgendwo da oben.“ Nebenbei genießt sie es, auf den Oscarveranstaltungen mit der Limousine zu fahren und Champagner zu trinken. Das Beste für sie ist allerdings dort die Filmcrews und die Schauspieler wieder zu treffen.

„Ein echter Red-Carpet-Rebell“

Obwohl sich Jenny Beavans ganze Arbeit um Kleidung dreht und sie gerne auf Film-Events geht, interessiert sie sich selbst nicht für Mode. Im Interview mit Dailymail sagte sie erbarmungslos über sich: „Ich bin klein, ich bin dick, ich bin alt!“ Aus diesen Gründen hat sie kein Interesse daran, sich schick zu machen und zieht am liebsten einen legeren Look an, bestehend aus einem bequemen Oberteil, Jeans und Turnschuhen, das Ganze in Schwarz-Weiß gehalten. Gerne auch zu eleganten Anlässen, wodurch ihr Look im Jahr 2016 bei ihrer Oscarverleihung zu einem Eklat führte.

Ihren zweiten Oscar für ihr Kostümdesign im Film „Mad Max: Fury Road“ holte sie sich in einer Kunstlederjacke von Marks & Spencer, einem Schal, Stiefeln und Jeans ab. Wie sie sagte, war ihr Outfit als kleine „Hommage an den Film“ gedacht, sie wollte sich kleiden wie der Motorradpolizist von Mad Max. Über ihren wenig glamourösen Look regten sich manche Anwesenden auf. Doch Beavan nahm es gelassen mit Humor. Und die Vogue schrieb dazu: „So sieht ein echter Red-Carpet-Rebell aus“. Würdigender Weise steht jetzt ihr Skandal-Oscar-Outfit in der Academy Awards History-Galerie.

Die 72-jährige Jenny Beavan, die von ihrem Job noch immer „diesen Adrenalinschub“ bekommt, wie sie gegenüber Dailymail sagte, denkt nicht daran, jemals mit ihrer Arbeit aufzuhören, aber vielleicht irgendwann kürzerzutreten. Ihr nächster Film, „White Bird – A Wonder Story“ feiert voraussichtlich nächstes Jahr Weltpremiere. Ihre aktuelle Arbeit am Set zum postapokalyptischen Film „Furiosa“ kann im Jahr 2024 in den Kinos bewundert werden. Für die Kostüme von „Mrs. Harris und ein Kleid von Dior“ erhielt sie bereits den BIFA-Award. Von daher heißt es vielleicht für Beavan nächstes Jahr im März wieder: Was ziehe ich bloß an?

„Mrs. Harris und ein Kleid von Dior“ läuft jetzt im Kino und ist bereits auf DVD und Blu-ray vorbestellbar.