Behind the Scenes

Wie Mrs. Harris zu ihrem Dior Kleid kam

In Anthony Fabians nostalgischer Tragikomödie „Mrs. Harris und ein Kleid von Dior“ spielen Haute-Couture-Kleider eine bedeutende Rolle. Für den Universal-Film wurde extra Christian Diors legendärer „New Look“ von der Oscar-prämierten Kostümbildnerin Jenny Beavan nachgebildet, um eine glanzvolle Modenschau aus den 1950er-Jahren wieder auferstehen zu lassen.

M. Rösner | 5. Dezember 2022

Mrs. Harris (Lesley Manville) ist ganz hin und weg von Diors Haute-Couture-Kleid „Ravissante“. Klicke aufs Bild, um zum YouTube-Trailer zu gelangen. (Foto: Universal Pictures)

Das Leben der gutherzigen Ada Harris (gespielt von Lesley Manville), der Hauptfigur in dem Film „Mrs. Harris und ein Kleid von Dior“ ist arbeitsam und bescheiden. Die Witwe putzt in den 1950er-Jahren in London die Wohnungen von reichen Leuten. Eines Tages, als Mrs. Harris gerade bei Lady Dant (Anna Chancellor) arbeitet, fällt ihr Blick auf ein Kleid, das prachtvoller ist, als sie es sich je vorstellen könnte. Es ist eine exklusive Haute-Couture-Robe von Dior, aufwendig bestickt mit zarten floralen Applikationen und trägt den Namen „Ravissante“. Ada Harris verliebt sich sofort in dieses wunderschöne Kleid und wünscht sich nichts sehnlicher als selbst so eines zu besitzen. Das prächtige Designer-Kleid dient Mrs. Harris, die im Film immer noch um ihren verschwundenen Mann im Zweiten Weltkrieg trauert, als „modischer Antrieb“, um wieder Liebe zu empfinden, während sie sich in das Abenteuer wagt, nach Paris zu reisen, um ein Kleid von Dior zu kaufen.

Der Film entspricht den Werten des Hauses Dior

Der Film beruht auf Paul Gallicos zeitlosen Klassiker „Ein Kleid von Dior“ aus dem Jahr 1958. Regisseur Anthony Fabian (Skin, Louder Than Words), der schon immer ein Faible für diese Geschichte hatte, sicherte sich die Rechte für eine Drehbuchadaption. Als Produzent konnte Fabian seinen guten Freund Guillaume Benski (A long Way from Home, The Unattainable Story) gewinnen. Während das Projekt Form anzunehmen begann, wurde ihnen bewusst, dass sich der Film nur dann richtig umsetzen ließe, wenn Dior mit an Bord wäre, da sich der Film in jeder Szene um die Marke Dior dreht und sogar Christian Dior in einigen Szenen zu sehen ist. Auf ihre Anfrage bot ihnen das Haus Dior die volle Unterstützung an, zumal das Filmprojekt den Werten des Hauses entsprach.

Der legendäre Modedesigner Christian Dior (1905-1957) hatte mit seiner ersten Kollektion 1947 die Haute Couture revolutioniert. Sein „New Look“ bestand aus einer körperbetonten Taille, kombiniert mit einem langen, glockenförmigen Rock, welche aus edlen Materialien und Unmengen an Stoff gefertigt wurden. Da sich nach dem Zweiten Weltkrieg viele Frauen einen sehr femininen und luxuriösen Look wünschten, waren seine Kreationen heiß begehrt. Man sagt, Dior kleidete jeden, der jemand war, darunter die Schauspielerinnen Olivia de Havilland, Rita Hayworth und Marlene Dietrich.

Mrs. Harris sucht freudig auf der Dior-Modenschau ihr neues Haute-Couture-Kleid aus. Neben ihr sitzt der Marquis de Chassagne (Lambert Wilson), der ihr half, einen Platz im erlauchten Publikum zu bekommen. (Foto: Universal Pictures)

Kostümbildnerin Jenny Beavan bekam Insider-Zugang

Um die komplizierten Kostüme im Stil von Dior zu entwerfen, engagierte Fabian die Oscar-prämierte Kostümbildnerin Jenny Beavan (Cruella, Mad Max: Fury Road, Zimmer mit Aussicht). Für eine detailgetreue Rekonstruktion der Kleider arbeitete sie eng mit dem Haus Dior zusammen. Beavan durfte sich in dem legendären Dior-Archiv in Paris umschauen, unterstützt von der Chefkuratorin Soizic Pfaff.

Diors „Vaudeville“-Kleid ist auch auf der Modenschau zu bewundern. (Foto: Universal Pictures)

Während ihres Besuchs in dem temperaturgesteuerten Archiv studierte sie Christian Diors Modeskizzen, Laufstegshow-Notizen und besah kostbare Stoffmuster und Kleidungsstücke. Beavan, die seit über 40 Jahren in ihrem Job tätig ist, fand es „absolut erstaunlich, das Original zu sehen und sich umzuschauen, um genau zu sehen, wie Dior seine kleinen inneren Korsetts und Stäbchen gemacht hat“, wie sie gegenüber The Hollywood Reporter erzählte. Für weitere Recherchen nutzte Beavan YouTube-Videos von Dior-Modenschauen und Interviews mit seinen Models sowie das Buch „Christian Dior: History & Modernity 1947-1957“ von Alexandra Palmer. Mit diesen Rechercheergebnissen begann sie mit ihrem Team Kostüme im Dior-Look aus den 1950er-Jahren nachzubilden.

Haute-Couture erschaffen unter erschwerten Bedingungen

Der Film wurde während der Coronapandemie mitten im Lockdown 2020 in Budapest und London gedreht und Anfang 2021 an Originaldrehorten in Paris. Erschwerend zu der Pandemie kam für die 72-jährige Beavan hinzu, dass sie sich nicht auf das Fachwissen der hauseigenen Modeschöpfer und Schneider von Dior verlassen konnte, sondern die Haute-Couture-Kleider selbst herstellen musste. „Sie brauchen Monate, um die Kleidung herzustellen, und wir hatten Wochen oder Tage, wenn überhaupt“, erklärte sie gegenüber The Hollywood Reporter.

Während dieser Zeit war es nicht einfach, genügend geeignete Stoffe für die aufwendigen Kostüme aufzutreiben, die Christian Diors „New Look“ ausmachen. Teilweise wurden für einen Rock bis zu 20 Meter luxuriöser Stoff benötigt. Es bedurfte daher eines gewissen Einfallsreichtums, auch weil das Budget knapp bemessen war. Doch Jenny Beavan, ganz Profi und gut vernetzt, versammelte ein kleines talentiertes Team, mit dem sie schon seit Jahrzehnten zusammenarbeitet, um die Dior-Nachbildungen dem Hause Dior angemessen zu erstellen und im Zeitplan zu bleiben.

Zu dem Team gehörten die Kostümmacherin Jane Law, mit der sie zusammen an „Cruella“ (2021) gearbeitet hatte, und der 82-jährige Kostümbildner John Bright, mit dem Beavan bereits 1985 ihren ersten Oscar für „Ein Zimmer mit Aussicht“ gewann.

Viele Dior-Kleider im Film wurden von Jane Law und John Bright angefertigt, die beide eine Leidenschaft für Dior haben. Beavan war während dieser Zeit zudem sehr darauf angewiesen, was John Bright, der 1965 das berühmte Londoner Kostümhaus Cosprop gründete, in seinen Vorräten hatte.

Ein weiteres Problem bestand darin, dass die Kleider nach Maß angefertigt werden mussten, aber wegen der Coronapandemie niemand zur Anprobe kommen konnte. Von daher wurden die Kleider nach den Maßangaben der Schauspieler erstellt und erst am Drehort in Budapest von Jenny Beavan und der Kostümbildnerin Lauren Reyhani angepasst.

Das „Cachottier“-Kleid wurde von Beavan und ihrem Team neu erstellt. (Foto: Universal Pictures)
Diors elegantes „Valparaiso“-Kleid. (Foto: Universal Pictures)

Ein Dior-Kleid zum Verlieben

Damit sich Mrs. Harris überhaupt auf die Reise nach Paris begibt und eine Verwandlung der Hauptfigur einleitet, war zu Beginn des Films ein wunderschönes Haute-Couture-Kleid im Stil von Dior notwendig, welches „die Vorstellungskraft von Mrs. Harris völlig in Anspruch nimmt“, wie Beavan gegenüber Indiewire erklärte. Neben diesem wichtigen Storytelling-Faktor musste das Kleid mit dem Namen „Ravissante“ nicht nur die Blumenliebende Putzfrau Mrs. Harris verzaubern, sondern auch vom Stil her zur Besitzerin des Kleides, der wohlhabenden Lady Dant passen.

Für dieses erste von drei wichtigen Storytelling-Kleidern im Film wählte Beavan ein Haute-Couture-Cocktailkleid mit Corsage, Gürtel und floralen Applikationen. Es wurde nach einem Dior-Entwurf aus der Frühjahr-Sommer-Kollektion aus dem Jahr 1949 erstellt.

Kleider erstellen für eine legendäre Modenschau

Als Mrs. Harris schließlich motiviert durch das Kleid „Ravissante“ nach Paris fliegt, nimmt sie an einer Modenschau zum zehnjährigen Bestehen von Dior teil und sucht mit viel Begeisterung ihr zukünftiges Dior-Kleid aus.

Für diese Modenschau, die im Jahr 1957 spielt, konnte sich Beavan fünf Vintage-Kleider von Dior ausleihen. Es waren hauptsächlich schwarz-weiße Kleider, die in den 1980er und 1990er-Jahren auf Grundlage früherer Originale neu angefertigt wurden, darunter auch ein „Bar Suit“. Dieses Model entstand 1947 ebenfalls im Stil des „New Looks“ und besteht aus einer cremefarbenen, schmal taillierten Seidenjacke und einem weiten plissierten schwarzen Rock. Für mehr Authentizität stellte ihr das Haus Dior zudem Schmuck, Hüte und Schuhe zur Verfügung.

Auch aus dem Fundus des Kostümhauses Cosprop konnte Beavan ein makelloses Dior-Vintage-Kleid beziehen. Es handelt sich hierbei um ein marineblau-weiß-gepunktetes „Puerto Rico“-Kleid aus der Frühjahr-Sommer-Kollektion von 1957.

Weitere Haute-Couture-Kleider für die Modenschau musste Beavan mit ihrem Team, die meisten nach Entwürfen von Christian Dior, selbst herstellen. Beavan schätzt, wie The Hollywood Reporter berichtete, dass ihr Team „16 originale Looks präzise nachgebildet hat“. Darunter elegante Tageskleider sowie prächtige Abendkleider in exklusiven Dior-Farben und zum krönenden Abschluss der Modenschau ein Hochzeitskleid.

Um den Kreationen von Dior gerecht zu werden, bemühte sich das Team, mit den richtigen Stoffen zu arbeiten. Diors Kleider waren damals sehr schwer, da es kaum Heizungen gab und die Menschen dickere Kleidung tragen mussten, damit sie nicht froren. Außerdem wurden viele der Stoffe zusätzlich gefärbt, um den richtigen Farbton zu erhalten. Hierbei orientierte sich Beavan und ihr Team an Fotos.

Model und Dior-Muse Natasha (Alba Baptista) präsentiert „Versuchung“. (Foto: Universal Pictures)

„Venus“ oder „Versuchung“

Unter den Kleidern für die Modenschau befinden sich zwei weitere Storytelling-Kleider mit den Namen „Venus“ und „Versuchung“. Das Besondere an ihnen ist, dass diese Abendkleider nicht nach Entwürfen von Christian Dior erstellt wurden, sondern nach Entwürfen von Jenny Beavan, die sie im Dior-Stil designte.

Auf der Modenschau ist Mrs. Harris zunächst begeistert von dem leuchtend grünen „Venus“-Kleid, doch kurz darauf präsentiert das Model und Dior-Muse Natasha (gespielt von Alba Baptista), ein dunkelrot schimmerndes Kleid mit dem Namen „Versuchung“.

Die Design-Anforderungen an „Versuchung“ waren enorm. Dieses Storytelling-Kleid musste nicht nur aussehen wie ein Abendkleid von Dior, sondern auch so hinreißend designt, dass es mühelos alle anderen Kleider ausstechen konnte. Beavan orientierte sich hierfür am Stil eines Samtkleides, welches Christian Dior für das erste Supermodel der Welt, Victoire Doutreleau entwarf. Gegenüber Grazia erzählte sie, dass „Versuchung“ auf dem eleganten Entwurf „Diablotine“ (dt. etwa kleiner Teufel) basiert, dass sie in dem Dior-Archiv gesehen hatte. „Es ist ein wundervolles rotes Kleid, ungefähr in der Farbe, die wir am Ende hinbekommen haben. Es hat überall handgenähte Pailletten.“

Doch leider kann Mrs. Harris von „Versuchung“ nur träumen, da es ihr direkt nach der Modenschau von einer langjährigen und wohlhabenden Kundin weggeschnappt wird. Daraufhin entscheidet sie sich für „Venus“, ein Kleid, das vom Design her mehrere knifflige Storytelling-Aufgaben zu erfüllen hatte. Zum einen musste es ein so ansprechendes und schönes Dior-Kleid sein, dass Mrs. Harris trotz allem zufrieden ist mit ihrem Kauf, nachdem ihr „Versuchung“ weggeschnappt wurde. Zum anderen musste es auch in seinen verschiedenen Herstellungsstadien immer gut aussehen, wenn Mrs. Harris es bei der Anprobe im Atelier von Dior trägt. Um diese Ansprüche zu erfüllen, kreierte Beavan ein bodenlanges Corsagenkleid aus einer leuchtend grünen Seide, geschmückt mit einem großen asymmetrischen Volant und einer Blumenapplikation an der Corsage. Der prachtvolle „Venus“- Entwurf basiert in Teilen auf einem Kleid, das „Miss Dior“ genannt wurde und Teil der Kollektion 1949/1950 war.

Noch eine wichtige, wenngleich tragische Wendung in der Geschichte hatte „Venus“ zu erfüllen, es musste in einer Szene in Flammen aufgehen. Wie Beavan gegenüber Variety erzählte, machte Dior damals oft vorne einen Volant aus Tüll. Allerdings hatte das Team einen Tüll gewählt, der sich weigerte, Feuer zu fangen. „Stattdessen fing die Seide Feuer. Wenigstens etwas.“

Mrs. Harris bei der Anprobe ihres Dior-Kleides „Venus“. (Foto: Universal Pictures)

Anthony Fabians Film weicht von Paul Gallicos Romanende in märchenhafter Weise ab. Obwohl Mrs. Harris Kleid „Venus“ in Flammen aufgeht, darf sie im Film mit einem anderen Dior-Kleid glücklich werden. Aber wer seine Kleider von einer zweifach Oscar-prämierten Kostümbildnerin erstellen lässt (Jenny Beavan erhielt ihren dritten erst nach dieser Filmproduktion), kann seine Hauptfigur schließlich nicht ohne ein Dior-Kleid ins Happy End schicken.

„Mrs Harris und ein Kleid von Dior“ läuft jetzt im Kino und ist bereits auf DVD und Blu-ray vorbestellbar.